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Entwicklung der liberalen Freimaurerei

Aktualisiert: 21. Nov.

Vom Grand Orient de France zum Souveränen GrossOrient von Deutschland

Die Freimaurerei hat seit ihrer Entstehung im 18. Jahrhundert eine Vielzahl von Entwicklungen und Strömungen durchlaufen. Eine bedeutende Rolle spielt dabei der Grand Orient de France (GOdF), der als eine der ältesten freimaurerischen Großlogen Frankreichs die Prinzipien der liberalen Freimaurerei maßgeblich geprägt hat. Dieser Artikel beleuchtet die historische Entwicklung des GOdF, die Einführung adogmatischer Prinzipien, die Aufnahme von Frauen sowie die Beziehung zur United Grand Lodge of England (UGLoE). Darüber hinaus wird die Rolle des Souveränen GrossOrient von Deutschland (SGOvD) als moderner Vertreter dieser Werte in Deutschland betrachtet.


Historische Meilensteine des Grand Orient de France

Gründung und frühe Entwicklung (1773–1791)

Der Grand Orient de France wurde 1773 gegründet, als verschiedene freimaurerische Logen in Frankreich unter einer zentralen Leitung zusammengeführt wurden. Diese Vereinigung erfolgte in einer Zeit des intellektuellen Aufbruchs, die stark von den Ideen der Aufklärung geprägt war. Das Ziel war, die Freimaurerei zu strukturieren und ihr eine einheitliche organisatorische Grundlage zu geben.

Anfangs orientierte sich der GOdF an den traditionellen Vorgaben der Freimaurerei, einschließlich der Verpflichtung zum Glauben an ein höheres Wesen, den „Großen Baumeister aller Welten“. Die Freimaurerei diente als Forum für den Austausch philosophischer und wissenschaftlicher Ideen und zog Mitglieder aus verschiedenen sozialen Schichten an.

Die Französische Revolution von 1789 markierte einen Wendepunkt in der Geschichte des GOdF. Die revolutionären Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit („Liberté, Égalité, Fraternité“) beeinflussten die freimaurerische Philosophie erheblich. In dieser Zeit begann der GOdF, sich von religiösen Dogmen zu lösen und säkulare Prinzipien stärker zu betonen.

Im Jahr 1791 führte der GOdF Reformen durch, die die Laizität und die universellen Menschenrechte in den Vordergrund stellten. Diese Transformation spiegelte die veränderten gesellschaftlichen Realitäten wider und festigte die Rolle des GOdF als progressiver Akteur in Frankreich.


Der Bruch mit der United Grand Lodge of England (1877)

Ein weiterer bedeutender Meilenstein in der Geschichte des GOdF war die Entscheidung von 1877, die Verpflichtung zum Glauben an ein höheres Wesen aus den Statuten zu streichen. Dieser Schritt war eine Reaktion auf die zunehmende Säkularisierung Frankreichs und die Bewegung hin zur Trennung von Kirche und Staat, die 1905 gesetzlich verankert wurde.

Durch die Betonung der Gewissensfreiheit öffnete der GOdF seine Türen für Menschen unabhängig von ihrem Glauben oder Nicht-Glauben. Diese Entscheidung führte zu unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der Freimaurerei. Die United Grand Lodge of England (UGLoE), die an traditionellen Prinzipien festhielt, erkannte den GOdF fortan nicht mehr als „regulär“ an. Dieser Bruch markierte die Spaltung der Freimaurerei in eine traditionelle und eine liberale Strömung und legte den Grundstein für die Entstehung der liberalen Freimaurerei als eigenständige Bewegung.


Frauen und die Freimaurerei

Maria Deraismes und die Gründung von „Le Droit Humain“ (1893)

Traditionell war die Freimaurerei ausschließlich Männern vorbehalten. Dies änderte sich 1893, als Maria Deraismes als erste Frau in Frankreich in eine freimaurerische Loge aufgenommen wurde. Gemeinsam mit Georges Martin gründete sie den Ordre Maçonnique Mixte International „Le Droit Humain“, eine gemischte freimaurerische Obödienz, die Männern und Frauen gleichermaßen offenstand.

Diese Organisation verkörperte die Ideale von Gleichberechtigung und universellen Menschenrechten und setzte ein starkes Zeichen für die Inklusion in der Freimaurerei. Die Gründung von „Le Droit Humain“ führte zu intensiven Diskussionen innerhalb der Freimaurerei und trug maßgeblich dazu bei, die Rolle der Frau in der freimaurerischen Bewegung neu zu definieren.


Die Aufnahme von Frauen in den GOdF (2010)

Im Jahr 2010 vollzog der GOdF einen weiteren historischen Schritt, indem er offiziell begann, Frauen als Mitglieder aufzunehmen. Diese Entscheidung unterstreicht die fortlaufende Weiterentwicklung der Obödienz und ihre Anpassung an die Werte einer modernen, egalitären Gesellschaft. Die Integration von Frauen ist im GOdF und im Souveränen GrossOrient von Deutschland (SGOvD) heute selbstverständlich und spiegelt das Bekenntnis zu Inklusion und Gleichberechtigung wider.


Prinzipien der liberalen Freimaurerei

Die liberale Freimaurerei, wie sie vom GOdF und dem SGOvD vertreten wird, basiert auf grundlegenden Prinzipien, die auf den Ideen der Aufklärung beruhen:


Gewissensfreiheit

Die Gewissensfreiheit ist ein zentrales Element der liberalen Freimaurerei. Mitglieder sind frei in ihrer Weltanschauung und nicht an dogmatische Vorgaben gebunden. Individuelle Überzeugungen und Glaubensrichtungen werden respektiert und gefördert, wodurch ein offener Dialog und ein vielfältiger Austausch ermöglicht werden.


Laizität

Die Laizität betont die Trennung von Kirche und Loge. Die Freimaurerei versteht sich als säkulare Organisation, die auf universellen ethischen Prinzipien basiert und neutral gegenüber religiösen Institutionen ist. Dies fördert eine offene und vielfältige Mitgliedschaft und unterstreicht die Unabhängigkeit von religiöser Bevormundung.


Inklusion

Inklusion ist ein weiteres fundamentales Prinzip. Die Aufnahme von Frauen und die Förderung von Diversität sind zentrale Anliegen. Die Freimaurerei öffnet sich für Menschen unterschiedlicher Geschlechter, Ethnien, Religionen und sozialer Hintergründe, wodurch eine integrative Gemeinschaft entsteht, die von gegenseitigem Respekt und Toleranz geprägt ist.


Soziale Verantwortung

Die liberale Freimaurerei legt großen Wert auf soziale Verantwortung. Engagement für Menschenrechte, Bildung und soziale Gerechtigkeit ist ein wesentlicher Bestandteil der freimaurerischen Arbeit. Dies spiegelt die Verpflichtung wider, einen positiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten und aktiv an ihrer Gestaltung mitzuwirken.


Adogmatische Ausrichtung

Die adogmatische Ausrichtung der liberalen Freimaurerei bedeutet die bewusste Ablehnung festgelegter dogmatischer Vorgaben, insbesondere in religiösen oder ideologischen Kontexten. Im Gegensatz zu traditionellen Ausrichtungen, die bestimmte Glaubensvorstellungen voraussetzen, ermöglicht die adogmatische Freimaurerei eine offene Diskussion und Akzeptanz unterschiedlicher Weltanschauungen. Diese Haltung fördert eine flexible und anpassungsfähige Struktur, die sich kontinuierlich weiterentwickelt und auf neue gesellschaftliche Herausforderungen reagiert.


Regularität und unterschiedliche Auffassungen in der Freimaurerei

Der Begriff der Regularität

In der Freimaurerei bezeichnet „Regularität“ die Einhaltung spezifischer Regeln und Prinzipien, die von anerkannten Großlogen festgelegt werden. Diese Regularitätsprinzipien definieren, unter welchen Bedingungen eine Freimaurerorganisation als „regulär“ anerkannt wird. Die United Grand Lodge of England (UGLoE), als eine der ältesten Großlogen, hat ihre eigenen Regularitätsprinzipien entwickelt, die innerhalb ihres Einflussbereichs gelten.


Unterschiedliche Prinzipien und Praktiken

Die UGLoE und die mit ihr verbundenen Großlogen legen Wert auf traditionelle Prinzipien, wie:

  • Glaube an ein höheres Wesen: Mitglieder müssen an ein „Supreme Being“ glauben.

  • Heilige Schriften: Bei Treffen muss ein „Volume of the Sacred Law“ präsent sein.

  • Verbot politischer und religiöser Diskussionen: Um Harmonie zu fördern, sind solche Diskussionen untersagt.

  • Männerbund: Die Mitgliedschaft ist ausschließlich Männern vorbehalten.


Im Gegensatz dazu betonen der GOdF und der SGOvD die Gewissensfreiheit und verzichten auf solche dogmatischen Vorgaben. Sie öffnen ihre Logen für alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, und fördern den offenen Diskurs über gesellschaftliche Themen.


Verschiedene Traditionen und Werte

Diese unterschiedlichen Ansätze spiegeln die Vielfalt innerhalb der Freimaurerei wider. Während einige Großlogen an traditionellen Prinzipien festhalten, orientieren sich andere an den Idealen der Aufklärung und betonen individuelle Freiheit und Inklusion.

Der SGOvD respektiert diese Vielfalt und erkennt an, dass unterschiedliche Wege innerhalb der Freimaurerei existieren. Aus der Perspektive der liberalen Freimaurerei stehen Werte wie Adogmatismus, Gewissensfreiheit und Inklusion im Vordergrund. Die unterschiedlichen Auffassungen über Regularität und Praxis unterstreichen die reichhaltige Tradition und die verschiedenen Ausprägungen der freimaurerischen Bewegung.


Philosophische Reflexion

Die Freimaurerei versteht sich als Gemeinschaft für ethische und spirituelle Weiterentwicklung. Die Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit werden in den Ritualen und Strukturen der Logen gelebt und reflektiert.


Gewissensfreiheit

Die Gewissensfreiheit anerkennt den Menschen als autonomes und selbstbestimmtes Wesen. Sie ermöglicht eine offene Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Weltanschauungen und fördert den respektvollen Dialog. Diese Freiheit ist grundlegend für die persönliche Entwicklung und die Fähigkeit, kritisch zu denken und ethische Urteile zu fällen.


Laizität

Die Laizität betont die Unabhängigkeit von religiösen Institutionen und fördert eine offene und vielfältige Mitgliedschaft. Sie basiert auf der Überzeugung, dass ethische Prinzipien universell und rational begründet sein sollten, unabhängig von spezifischen religiösen Dogmen. Dies schafft einen neutralen Raum für den Austausch und die Zusammenarbeit von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen.


Adogmatische Ausrichtung

Die adogmatische Ausrichtung ermöglicht eine flexible und anpassungsfähige Struktur, die auf neue gesellschaftliche Herausforderungen reagieren kann. Sie fördert eine Gemeinschaft, die sowohl traditionelle Werte bewahrt als auch innovativ auf moderne Bedürfnisse eingeht. Durch die Ablehnung starrer dogmatischer Vorgaben wird Raum für individuelle Interpretation und persönliches Wachstum geschaffen.


Umsetzung ethischer Prinzipien

Die ethischen Prinzipien der Freimaurerei werden durch Rituale, Logenstrukturen und karitative Projekte praktisch umgesetzt. Freimaurerische Rituale sind symbolisch und dienen der Selbstreflexion und Persönlichkeitsentwicklung. Soziales Engagement, wie die Unterstützung von Bildungsprogrammen, Umweltinitiativen und humanitären Hilfsprojekten, ist Ausdruck des freimaurerischen Anspruchs, positiv auf die Gesellschaft einzuwirken und Verantwortung zu übernehmen.


Auswirkungen auf die Freimaurerei weltweit

Die Entwicklungen des GOdF und die Prinzipien der liberalen Freimaurerei haben die Freimaurerei weltweit beeinflusst. Sie haben dazu beigetragen, die Freimaurerei vielfältiger und zugänglicher zu machen, indem sie Werte wie Freiheit, Toleranz und Inklusion betonen.

Die internationale Zusammenarbeit, wie sie durch die Gründung des SGOvD mit Unterstützung des GOdF und anderer liberaler Großlogen sichtbar wird, fördert den Austausch von Ideen und trägt zur Weiterentwicklung der Freimaurerei bei. Diese Vernetzung ermöglicht es, gemeinsame Ziele zu verfolgen und sich gegenseitig zu unterstützen.

Das Engagement für Menschenrechte, Bildung und soziale Gerechtigkeit unterstreicht die gesellschaftliche Relevanz der Freimaurerei. Durch aktive Beteiligung an gesellschaftlichen Diskursen und Initiativen zeigt die Freimaurerei, wie ihre Prinzipien zu positiven Veränderungen beitragen können.


Werke zur Geschichte und Entwicklung der Freimaurerei

Die genannten Werke sind in der wissenschaftlichen Literatur anerkannt und bieten fundierte Einblicke in die Geschichte und Entwicklung der Freimaurerei. Nachfolgend eine Übersicht der Werke mit ihren Originaltiteln und einer Bewertung ihrer Seriosität:


  1. Daniel Ligou, Histoire des Francs-Maçons en France (2000)

    Daniel Ligou (1921–2013) war ein renommierter französischer Historiker und Professor an der Universität Dijon. Sein Werk Histoire des Francs-Maçons en France gilt als umfassende und detaillierte Darstellung der Geschichte der Freimaurerei in Frankreich. Ligou analysiert die Entwicklung des Grand Orient de France (GOdF) und bietet wertvolle Einblicke in die freimaurerischen Strukturen und deren Einfluss auf die französische Gesellschaft. Seine Arbeiten werden in der wissenschaftlichen Gemeinschaft hoch geschätzt und häufig zitiert.

  2. Margaret C. Jacob, Living the Enlightenment: Freemasonry and Politics in Eighteenth-Century Europe (1991)

    Margaret C. Jacob ist eine angesehene amerikanische Historikerin, spezialisiert auf die Geschichte der Wissenschaft und der Aufklärung. In Living the Enlightenment untersucht sie die Verbindungen zwischen freimaurerischen Idealen und den philosophischen Strömungen der Aufklärung im 18. Jahrhundert. Das Werk wird als bedeutender Beitrag zum Verständnis der Rolle der Freimaurerei in der europäischen Aufklärung angesehen und ist in akademischen Kreisen weit verbreitet.

  3. Maria Deraismes, La Femme et la Franc-Maçonnerie (1895)

    Maria Deraismes (1828–1894) war eine französische Feministin und eine der ersten Frauen, die in die Freimaurerei aufgenommen wurden. In ihrem Werk La Femme et la Franc-Maçonnerie thematisiert sie die Rolle der Frau in der Freimaurerei und die Gründung von "Le Droit Humain", einer gemischten freimaurerischen Organisation. Obwohl das Werk historisch bedeutsam ist, wird es in der modernen wissenschaftlichen Literatur weniger häufig zitiert.

  4. Georges Martin, La Franc-Maçonnerie Mixte: Son Histoire et son Avenir (1905)

    Georges Martin (1844–1916) war ein französischer Arzt und Freimaurer, der gemeinsam mit Maria Deraismes "Le Droit Humain" gründete. In La Franc-Maçonnerie Mixte analysiert er die Entstehung und Bedeutung von gemischten Freimaurerlogen. Das Werk bietet wertvolle historische Einblicke, wird jedoch in der aktuellen Forschung seltener rezipiert.

  5. André Combes, La Franc-Maçonnerie sous la Troisième République (1998)

    André Combes ist ein französischer Historiker, der sich intensiv mit der Geschichte der Freimaurerei beschäftigt hat. In La Franc-Maçonnerie sous la Troisième République bietet er einen detaillierten Einblick in die Rolle der Freimaurerei in der französischen Gesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. Das Werk wird in der wissenschaftlichen Gemeinschaft als seriöse Quelle anerkannt und häufig zitiert.

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